Melvin Hasler
weiss, wie man Zivilcourage erlernen und umsetzen kann.
Das Unkraut sucht sich bereits seinen Weg. In einem Jahr beginnen hier die Abrissarbeiten, die Wohnhäuser kommen weg.
40 neue Wohnungen baut die Firma Gehrig Liegenschaften im Neulandenquartier ab dem Sommer 2025. Dafür müssen die alten Wohnblöcke aus den 1970er-Jahren weichen. Für 33 Mieter beginnt nun die Suche nach einem neuen Zuhause. Auch für Klara O.*
Wil Seit 18 Jahren wohnt Klara O*. in einem der Wohnhäuser an der Bienenstrasse – nun muss die 74-Jährige aus ihren lieb gewonnen dreieinhalb Zimmern ausziehen. Doch nicht nur sie, auch alle ihre Nachbarn müssen das Feld räumen. Grund dafür ist, dass die Firma Gehrig Liegenschaften die in die Jahre gekommenen Wohnhäuser an der Buebenloostrasse 12/12A und der Bienenstrasse 11 und 13 abreissen und dafür neue Blöcke mit 40 Wohnungen bauen möchte. Die Baubehörde der Stadt hat die Baubewilligung für die neuen Blöcke bereits erteilt. Die Stimmung unter den Mietern ist nicht gut, wissen die WN. Auch, weil die Redaktion in den vergangenen Tagen eine Mail erreicht hat. Es ist die Nachricht einer Tochter, deren Mutter in einer der Wohnungen, die nun abgerissen werden, wohnt. «Meine Mutter ist seit 18 Jahren eine stille und bescheidene Mieterin, welche nächstes Jahr mit 75 Jahren von der Verwaltung auf die Strasse gestellt wird, da die Überbauung an der Bienenstrasse abgerissen wird», schreibt die Tochter in dicken Buchstaben.
Den 33 Mietern der Überbauung im Wiler Neulandenquartier geht es nun allen gleich: Sie brauchen ein neues Zuhause. Dieses zu finden, ist gar nicht so einfach, gelten die betroffenen Wohnungen doch alle als kostengünstig. Das weiss auch Klara O.*. Die 74-Jährige macht sich zusammen mit ihrer Tochter darum auf die Suche nach einer neuen Bleibe, und dies, obwohl sie nach eigenen Angaben gerne ihren Lebensabend im Neulandenquartier verbracht hätte. Und tatsächlich, die Wilerin findet eine Wohnung. «Meine Mutter hat nun die einmalige Chance erhalten, eine ihrer Rente entsprechende Wohnung zu finden, welche sie aber bereits per 1. September 2024 antreten müsste, sie wäre per 1. August 2024 bezugsbereit und der neue Vermieter würde ihr einen Monat entgegenkommen», schrieb die Tochter vor ein paar Tagen an die Firma Gehrig Liegenschaften und fügt dazu an: «Wir bitten um Verständnis, dass es schwierig ist, etwas Adäquates zu finden, mit Lift und Garage, Hund erlaubt, an ruhiger Lage und bezahlbar mit einer Rente von 1980 Franken, weshalb wir seit Januar noch fast keine Wohnungen gefunden haben, die infrage kommen und die nicht schon weg waren.» Dazu muss man wissen, die Verwaltung, also die Gehrig Liegenschaften, hat ihre Mieter schon Anfang des Jahres in ihre Pläne eingeweiht, um ihnen Zeit für die Suche nach einer neuen Bleibe zu geben. Das Problem: Klara O.* möchte ausserhalb des eigentlichen Kündigungstermins ihre Wohnung an der Bienenstrasse verlassen. Dies, da sich die Witwe eine Doppelbelastung nicht leisten kann, sprich, sie kann nicht zwei Wohnungen gleichzeitig bezahlen. Doch bei der Verwaltung stosse das Anliegen der Mieterin auf taube Ohren, wie die Tochter, die den schriftlichen Verkehr geführt hat, den WN verrät: «Die Gehrig Liegenschaften sind zwar bereit, die Kündigungstermine flexibel zu handhaben, also auf jedes Monatsende ausser Juli und Dezember, anstatt an den Kündigungsterminen gemäss Mietvertrag (März, Juni und September) festzuhalten. Die gesetzliche Kündigungsfrist von drei Monaten bleibt laut Verwaltung jedoch nach wie vor bestehen und kann nicht verkürzt werden.» Der nächstmögliche Kündigungstermin für Klara O.* ist somit der 30. September 2024. «Sollte sie es sich nicht leisten können, die neue Wohnung anzutreten, ist zu befürchten, dass sie innert nützlicher Frist auch nichts Geeignetes findet», schreibt die Tochter an die Verwaltung. «Wieso eine Verwaltung eine Kündigungsfrist nicht verkürzen können sollte, sofern es zugunsten der Mieterschaft ist, ist mir schleierhaft. Als HR-Leiterin bin ich individuelles Entgegenkommen gewohnt und weiss, dass eine Firma so etwas besser verkraftet als negative Publicity», so die Tochter gegenüber den WN und ergänzt: «Wen schmerzt die Monatsmiete wohl mehr? Die Firma oder die Witwe?»
Mutter und Tochter sind enttäuscht, auch weil die 3,5-Zimmer-Wohnung an der Bienenstrasse nach eigenen Angaben in den vergangenen zehn Jahren regelrecht zerfiel. «Meine Mutter musste die Wohnung selber malen und hat viele Defekte wie kaputten Kühlschrank, den defekten Lift, undichte Fenster und weiteres über all die Jahre einfach mitgetragen, da man nichts mehr investieren wollte. Ich finde es nun beschämend und entwürdigend, wie die Verwaltung mit älteren Menschen umgeht», spricht die Tochter Klartext. Kurz vor Redaktionsschluss dieser Zeitung hat sich das Blatt nun doch noch gewendet. Die Gehrig Liegenschaften hat für die Wohnung von Klara O.* einen Nachmieter gefunden und entlässt die 75-Jährige nun doch früher aus dem Mietvertrag. «Ein absoluter Glücksfall», so die Tochter erleichtert.
*Name der Redaktion bekannt
Christoph Gehrig betont in einem persönlichen Gespräch mit den «Wiler Nachrichten», dass auch ihm der Schritt nicht leichtfalle, so vielen Parteien die Wohnung kündigen zu müssen. «Leider aber führt kein Weg daran vorbei, denn eine Sanierung lohnt sich schlicht nicht mehr, das haben wir abgeklärt», so Gehrig. Die Vorwürfe von Klara O. möchte der Geschäftsführer der Gehrig Liegenschaften so nicht stehen lassen: «Mir und auch meinen Mitarbeiterinnen ist es wichtig, immer fair und anständig zu bleiben, diese Grundsätze haben wir auch im geschilderten Fall eingehalten. Wir sind der Dame zudem auch entgegengekommen.» Was Gehrig damit meint, ist, dass man allen Mietern ermöglicht habe, auf das Ende jedes Monats zu kündigen. Bis Ende 2024 gilt aber weiter die gesetzliche Kündigungsfrist von drei Monaten. «Klara O. wollte ihre Wohnung innerhalb eines Monats verlassen. Ich kann die Motivation dahinter verstehen, trotzdem müssen wir mit allen Parteien gleich umgehen, es konnte darum leider nicht angehen, dass wir hier eine Ausnahme machen. Sonst wäre unsere Überbauung im schlimmsten Fall Ende August leer. Das ist auch ein finanzielles Risiko.» Er zeigt den WN einen Brief, in dem steht, dass die Gehrig Liegenschaften ihre Mieterinnen und Mieter bereits am 23. Januar 2023 über das Neubauprojekt Buebenloo informiert und den Abbruch der Gebäude angekündigt hatten. Gut 18 Monate später, genauer am 26. Juni 2024, informierte die Wiler Firma dann über die konkreten Pläne des Abbruchs und kündigte gleichzeitig den 33 Parteien. «Wir haben über all die Zeit transparent und offen über unsere Pläne informiert und auch mit Gerüchten aufgeräumt. Etwa mit einem Brief am 10. Oktober 2023 an die ganze Mieterschaft, als getuschelt wurde, dass die Mieter ihre Wohnungen bereits Ende 2024 verlassen müssten, was so nie stimmte.» Gehrig betont im Gespräch: «Man muss sich auch vor Augen halten, dass wir nicht verpflichtet sind, so früh zu informieren, wir hätten gar einfach drei Monate vor dem Abriss allen Mietern kündigen können, das hätte gesetzlich ‹verhebet›. Doch das kam für uns nie infrage, wir haben langjährige Mieter in unseren Liegenschaften, die wir auf keinen Fall vor den Kopf stossen möchten.» Dass Klara O. ihre Wohnung nun doch innerhalb eines Monats verlassen kann, hänge damit zusammen, dass man auch hier Hand geboten habe, so Christoph Gehrig. «Wir haben die Wohnung sofort nach dem Anliegen der Dame ausgeschrieben. Doch einfach ist es natürlich nicht, jemanden zu finden, der eine Wohnung auf Zeit sucht.» Schlussendlich habe man aber eine Lösung mit der Stadt gefunden, verrät Gehrig: «Da ist man immer auf der Suche nach Wohnraum und diesen stellen wir nun zur Verfügung.» Das Neubauprojekt an sich stosse im Neulandenquartier auf viel Zustimmung, weiss Christoph Gehrig: «Wir, zusammen mit dem zuständigen Architekten, haben die Baupläne auf Wunsch allen Nachbarn persönlich vorgestellt und Anregungen aufgenommen. Die Rückmeldungen waren durchwegs positiv und vereinzelt sogar sehr erfreut, dass diese 'alten Liegenschaften' wegkommen.
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