Simon Keller
erklärt, worauf es beim Bauen von Alphörnern ankommt.
Wut ist ein Gefühl, das oft verdrängt wird – doch was passiert, wenn man sie kreativ auslebt? Künstler Antonio Cariola hat genau das ausprobiert. Am Samstag, 23. November, lud er unter dem Titel «Werdende Kunst» Interessierte nach Wallenwil ein, um zusammen Teller an eine Wand zu werfen.
Wallenwil bei Eschlikon Seit fast 30 Jahren arbeitet der Künstler Antonio Cariola mit sozial benachteiligten Menschen, stellt an Flohmärkten aus und kreiert nebenbei Kunst in den unterschiedlichsten Formen. Von Airbrush über Ölfarben bis hin zu Kreide – die Techniken des Künstlers sind vielseitig. Sein neuestes Projekt steht im Zeichen der Open-Air-Kunst und verbindet die rohe Energie eines Wutausbruchs mit kreativer Ausdrucksform. Unter dem Titel «Werdende Kunst» fordert er Menschen im Gewerbezentrum Wallenwil dazu auf, ihre Wut lieben zu lernen: «Wir werfen an diesem Nachmittag Teller an die Wand. Dabei setzen wir uns mit Scherben auseinander, indem wir auf kreative und lustige Art selber Kunst schaffen.» Das und mehr hat Cariola den WN im Interview verraten.
Antonio Cariola, wie kamen Sie auf die Idee, mit Besucherinnen und Besuchern Teller an die Wand zu werfen?
Die Idee entstand aus dem Gedanken an blinden Aktionismus. Ich selbst trage wenig Wut in mir, wollte aber anderen ein Ventil bieten, in einer vorurteilsfreien Umgebung ihrer eigenen Wut Raum zu geben. Zudem wollte ich herausfinden, was passiert, wenn Menschen einfach loslassen können, ohne viel nachzudenken. Meine Kunst ist meistens sehr experimentell: Am Anfang steht eine Idee, von der ich im Vorfeld selber nicht genau weiss, was daraus entstehen kann.
Was hat das Zerstören von Geschirr mit der Liebe zur Wut zu tun?
Jeder Mensch verspürt ab und zu Wut in sich. Sie zu zeigen, ist in unserer Gesellschaft nicht gern gesehen. Bei diesem Projekt haben die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, ihre Wut einmal hemmungslos rauszulassen. Beim Werfen entsteht eine Konfrontation mit der eigenen Emotion, um in einem weiteren Schritt Kunst daraus zu machen.
Was erhoffen Sie sich davon für die Teilnehmenden?
Ich wünsche mir, dass die Teilnehmenden neue Erkenntnisse über sich selbst und ihre Wut gewinnen. Zudem sollen sie merken, dass sie selber Teil werdender Kunst sein können. Und natürlich soll das Ganze auch Spass machen.
Gab es ähnliche Projekte in Ihrer bisherigen Arbeit?
Ja, eines davon war die «Papierrenata», eine menschengrosse Figur aus Papier, die sich durch den Alltag bewegt und in verschiedenen Szenen fotografiert wurde. Das Tellerwerfen wurde an der Location in Wallenwil im privaten Rahmen Anfang November schon einmal geübt, um sicherzugehen, dass das Experiment auch mit Besucherinnen und Besuchern erfolgreich und sicher durchführbar ist.
Wie wird bei diesem Wutexperiment sichergestellt, dass niemand verletzt wird?
Die Teilnehmenden tragen Schutzkleidung und einen Helm. Die Verantwortung trägt aber jeder selber. Für allfällige Verletzungen übernehme ich keine Haftung.
Woher haben Sie die vielen Teller und was passiert mit den Scherben nach dem Experiment?
Wir leben in einer Überflussgesellschaft und viele Menschen haben zu Hause Geschirr, das sie nicht mehr brauchen. Einen Teil des Porzellans stellte mir das Brocki Volltreffer in Sirnach zur Verfügung, manche brachten aber auch ihr eigenes mit. Eine der Teilnehmerinnen reiste sogar extra aus Liechtensteig an und brachte ihr altes Familienporzellan mit. Die Scherben werden entweder für Kunst weiterverwendet oder umweltgerecht entsorgt.
Warum scheint das Projekt besonders Frauen anzusprechen?
Viele Frauen erleben im Alltag Stress und Belastung, sei es als Mutter oder im Beruf. Sie sind oft gehemmt, ihre Wut auszudrücken, weil das verpönt ist. Solche Experimente bieten eine willkommene Möglichkeit, Druck abzulassen. Eine Teilnehmerin erzählte mir, dass es sich gut anfühlte und ihr ganzer Körper kribbelte, als sie den Teller warf.
Wie vereinbaren Sie als Flohmarktgänger Ihre Liebe zum Sammeln mit dem Zerdeppern von Porzellan?
Das ist tatsächlich nicht einfach. Oftmals tut es mir weh, mich von Gegenständen zu trennen. Hier war ich froh, dass ich nicht zu viele meiner eigenen Gegenstände zur Verfügung stellen musste. Doch weil daraus am Ende wieder Kunst entsteht, finde ich es schöner, dem Geschirr so einen neuen Nutzen zu ermöglichen, statt es im Schrank verstauben zu lassen.
Wie verbinden Sie dieses Projekt mit Ihrer langjährigen Arbeit mit sozial benachteiligten Menschen?
Direkt gibt es keinen Zusammenhang, aber in beiden Fällen geht es darum, Menschen einen Zugang zu ihrer Kreativität zu eröffnen. In meiner Arbeit mit sozial benachteiligten Menschen, etwa im Wipp in Wil oder bei einem Malprojekt in Olten, habe ich gesehen, wie sehr das Kreieren von Kunst es schafft, soziale Isolation zu durchbrechen und positive Energien freizusetzen.
Gibt es eine Fortsetzung für das Wutprojekt?
Ja, aus den Aufnahmen vom 23. November wird noch ein kurzer Film entstehen und am 29. Dezember lade ich nochmals zum Wutexperiment in Wallenwil ein. Nach dem Motto «Scherben bringen Glück» können die Teilnehmenden symbolisch das Jahr an die Wand werfen. Es findet an der Tössstrasse 9 ab 14 Uhr statt. Eine Anmeldung unter der Telefonnummer 079 222 37 73 ist erforderlich.
jms
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