Simon Keller
erklärt, worauf es beim Bauen von Alphörnern ankommt.
Timo Räbsamen nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Wiler Politiker setzt sich aktiv für die Rechte von Queeren ein.
Nach dem Sieg von Nemo am Eurovision Song Contest ist die queere Community in aller Munde. Einer, der sich aktiv für sie einsetzt, ist der Stadtparlamentarier Timo Räbsamen. Der Wiler nimmt dabei nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Politik in die Pflicht.
Timo Räbsamen, haben Sie den Eurovision Contest geschaut?
Nicht wirklich. Ich war im Auffahrtslager und konnte ihn deshalb nicht schauen. Ich habe ihn über einen Liveticker verfolgt.
Welche Bedeutung hat der Sieg Nemos für Sie persönlich?
Es ist sicher cool und es freut mich, dass die Schweiz nach so vielen Jahren wieder gewonnen hat, und vor allem freut es mich, weil es eine queere, nicht binäre Person ist. Dieser Sieg ist sicher der erste Schritt für die Sichtbarkeit solcher Menschen. Es gibt auch einen Nachteil dieser Sichtbarkeit, und zwar fehlt die Sicherheit. Sichtbarkeit ohne Sicherheit kann eine Gefahr sein.
Und welche Bedeutung hat der Sieg für queere und nicht binäre Menschen?
Es ist ein Zeichen, dass queere Menschen Teil von unserer Gesellschaft sind. Nun ist enorm wichtig, dass auch ihre Sicherheit gewährleistet wird.
Ihrem Polittalk in der vergangenen Ausgabe der «Wiler Nachrichten» gaben Sie den Titel «Bravo, Nemo! Schäm dich, Schweiz.». Warum muss sich unser Staat schämen?
Die Schweiz freut sich zwar enorm über den Sieg und ist stolz auf Nemo, aber auf der anderen Seite sind Leute wie Nemo in der Schweiz nicht anerkannt und existieren offiziell nicht. Dazu erlebt jede zweite trans Person Gewalt. Ein weiteres Problem sind in meinen Augen die Backlashes, etwa, wenn Medien Berichte mit Falschinformationen über trans Personen veröffentlichen. Insbesondere in den letzten Monaten ist diese mediale Hetze enorm gestiegen.
Es fehlt also der Schutz für trans Personen in der Schweiz?
Ja, genau. Vom Diskriminierungsschutz sind trans Personen ausgeschlossen und es ist völlig legal, öffentlich gegen trans Personen zu hetzen, und es gibt auch fast keine Schutzplätze für solche Leute. Es gibt etwa Frauenhäuser, und das ist auch gut so. Ich finde, solche Schutzhäuser sollte es aber auch für trans Personen geben.
Wie kann Sicherheit geschaffen werden für Queere?
Einerseits sicher durch ein gesellschaftliches Umdenken. Die Queerfeindlichkeit muss auch gesellschaftlich sanktioniert werden. Dazu braucht es sicher auch Veränderungen auf der politischen Ebene. Der Diskriminierungsschutz muss etwa ausgeweitet werden und sogenannte «Hate Crimes» gegen queere Personen müssen endlich erfasst werden, das wird bis jetzt in der Schweiz noch nicht gemacht. Es muss also noch sehr vieles passieren.
Was ist der Unterschied zwischen einer trans Frau oder einem trans Mann und einer nicht binären Person?
Trans Frauen sind Frauen, trans Männer sind Männer und «nicht binäre Personen» ist der Überbegriff für Menschen, die weder Frauen noch Männer sind. Es ist ein sehr diverser Begriff, und das ist auch der Grund, warum wir den Geschlechtseintrag abschaffen müssen. Nichtbinarität ist nicht einfach ein «drittes Geschlecht», sondern viel diverser.
Wieso hinkt die Schweiz bei so vielen Themen hinterher?
Ich frage mich eher, woher das Image kommt, dass wir ein fortgeschrittenes Land sind. Wenn man zurückschaut, sieht man, dass die Schweiz eher ein bürgerliches und konservatives Land ist, etwa beim Frauenstimmrecht, welches in der Schweiz erst sehr spät in Kraft trat. Gibt es Länder, die weiter sind als die Schweiz? Ja, die gibt es. In Europa gibt es einige Beispiele für Länder, die besser sind. Gewisse nordische Länder sind sicher weiter, aber schlussendlich ist es ein internationaler Kampf.
In Ihrem Polittalk schrieben Sie: «Wir kämpfen weiter.» Wer sind «wir»?
Die gesamte queere Community, die Schulter an Schulter für Anerkennung kämpft. Wir haben vieles erreicht, etwa für Schwule und Lesben. Jetzt ist die Zeit da, auf alle trans Personen den Fokus zu richten. Es gibt so einen enormen Backlash von rechts und man kommt immer wieder mit den gleichen Argumenten, die früher gegen Schwule und Lesben verwendet wurden. Darum ist es wichtig, dass wir trans Personen in diesem Kampf unterstützen. Trans Personen wurden immer wieder vergessen oder ignoriert. Sie arbeiten als Sozialpädagoge.
Wieso setzen Sie sich für die queere Community ein?
Es ist eine von vielen Aufgaben, die ich mir selbst gesetzt habe. Es ist mir sehr wichtig, mich für die gesamte Community einzusetzen. Es ist wichtig, die Sichtbarkeit zu nutzen. Ich möchte mich für eine Welt einsetzen, in der sich alle Leute wohl- und sicher fühlen und hierzu zählen auch alle queeren Personen.
Muss man die Geschlechter abschaffen?
Kurzfristig reicht meiner Meinung nach ein dritter Geschlechtseintrag im Pass. Langfristig kann dieser aber auch ganz weg, weil es eigentlich irrelevant ist für den Staat, welches Geschlecht man hat. Eine Abschaffung von Geschlecht in der Gesellschaft will ich nicht. Geschlecht ist etwas Schönes und Wichtiges und man sollte es ausleben dürfen. Überwinden müssen wir aber die starre Zweigeschlechtlichkeit, damit alle Geschlecht so ausleben, wie sie es möchten.
Gibt es Bestrebungen, die Gesellschaft aufzuklären, etwa Guidelines, die festhalten, wie man Fettnäpfchen vermeidet?
Die Bestrebungen sind da. Es gibt aus der Community Bildungsangebote oder Magazine, in denen Details beschrieben werden für Schulen und auch Unternehmen. Das Angebot ist da. Nun ist wichtig, dass es auch genutzt wird. Die Sichtbarkeit wird sicher viele Leute dazu bringen, sich nun darüber zu informieren. Gleichzeitig braucht es auch öffentliche Kampagnen und Workshops bei der Polizei oder im Gesundheitswesen, damit die Leute, die dort arbeiten, wissen, wie sie mit trans Personen umgehen können. Eine gute Frage wäre zum Beispiel: «Welche Pronomen benutzt du?» Man sieht es den Leuten nicht an, dass sie trans sind. Man kann die Pronomen normalisieren und sie etwa bei der Signatur in der E-Mail anfügen.
Als Mitglied der Juso engagieren Sie sich seit vier Jahren auch im Wiler Stadtparlament. Wie sehen Sie Ihre Rolle in der Politik?
Es ist enorm wichtig, dass man sich politisch engagiert. Die Veränderungen oder Verbesserungen kommen nicht einfach von nichts. Die werden politisch erkämpft, egal ob im Parlament oder auf der Strasse. Es ist wichtig, dass man sichtbar ist und weiterkämpft. Es gibt noch viele Sachen, die nicht gut laufen. Die grösste Fraktion ist die SVP, die offen gegen Menschen hetzt und trotzdem überall integriert ist. Wil ist nicht als eine progressive Stadt bekannt. Es ist darum wichtig, dass junge und queere Leute in Wil bleiben und sich hier engagieren.
Haben Sie Verständnis dafür, wenn andere Fehler machen oder schlicht nicht begreifen (wollen), was Nichtbinarität ist?
Jeder macht Fehler. Die Frage ist, ob man selber daraus lernen möchte. Etwa nicht binäre Menschen zu akzeptieren und zu respektieren, und wenn sie das nicht wollen, dann habe ich auch kein Verständnis für diese Menschen.
Lui Eigenmann
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