Cristina Roduner
weiss, was man bei der Verwendung von KI beachten muss.
Gewalt kann nicht nur physisch ausgeübt werden. lin
Mit der internationalen Aktionskampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» vom 25. November bis 10. Dezember wird auf geschlechtsspezifischeGewalt aufmerksam gemacht. Doch ab wann wird von Gewalt gesprochen und welche Formen kann sie annehmen?
Wil/St.Gallen Wer Gewalt erlebt hat oder bei einem Unfall verletzt wurde, trägt oft nicht nur physische, sondern auch psychische Narben davon. Die Sozialarbeiterin Monica Reinhart ist seit zwölf Jahren Beraterin bei der Opferhilfe SG-AR-AI. Sie zeigt auf, wann von Gewalt gesprochen wird und was solche Erlebnisse bei Betroffenen auslösen.
Monica Reinhart, inwiefern handelt es sich bei geschlechtsspezifischer Gewalt um ein gesellschaftliches Thema?
Gewalt gegen Frauen ist auch in der Schweiz bis heute weit verbreitet. Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik zeigen: Durchschnittlich alle zwei Wochen wird in der Schweiz eine Frau umgebracht. Die Täterschaft ist meistens ein (Ex-)Partner oder Familienangehöriger. Lange Zeit wurde häusliche Gewalt als «Privatsache» und «Unterschichtenthema» oder «Randgruppenphänomen» wahrgenommen. Im Vergleich zu früher hat sich die Sensibilisierung der Gesellschaft für das Thema verbessert. Es ist weitgehend bekannt, dass es sich um ein soziales Problem handelt und die gesamte Gesellschaft betrifft.
Welche Formen kann Gewalt annehmen?
Neben der körperlichen Gewalt sind sexualisierte und psychische Gewalt sehr verbreitet. Erich Fried, ein österreichischer Lyriker, hat einmal gesagt: «Die Gewalt fängt nicht an, wenn einer einen erwürgt; sie fängt an, wenn einer sagt: ‹Ich liebe dich, du gehörst mir.›». Ich finde dieses Zitat sehr treffend. Klar ist, dass auch Männer häusliche Gewalt erleben, dabei vor allem psychische Gewalt. Frauen sind jedoch deutlich häufiger von systematischer, lebensbedrohlicher Gewalt betroffen.
In welcher Hinsicht gilt Cat-Calling als eine Form von Gewalt?
Obwohl diese Verhaltensweisen von vielen Menschen als «normal» angesehen werden, können sie das Wohlbefinden und die Freiheit der Betroffenen stark beeinträchtigen. Cat-Calling ist eine Form von symbolischer Gewalt. Es geht darum, Macht auszuüben und der anderen Person zu schaden. Jemandem auf der Strasse nachzupfeifen, bedeutet nicht, der Person ein Kompliment zu machen. Stattdessen wird sie zu einem Objekt gemacht.
Welche Formen von Gewalt erleben Frauen in der Ostschweiz? Gibt es Trends, die sich abzeichnen?
Mit der digitalen Entwicklung geht einher, dass bei Stalking immer häufiger entsprechende Instrumente, wie zum Beispiel Air-Tags oder Tracking-Chips, genutzt werden.
Welche Frauen sind besonders gefährdet, Gewalt zu erfahren?
Sie sprechen mögliche Ursachen von geschlechtsspezifischer Gewalt an. Es kann nicht mit einem einfachen Schema erklärt werden, warum jemand Gewalt ausübt oder Gewalt erfährt. Studien haben zum Beispiel gezeigt, dass mehr Gleichstellung in der Gesellschaft mit weniger Gewalt gegen Frauen einhergeht. Auch innerhalb der Partnerschaft sind gleiche Rechte wichtig. Wenn jemand den anderen hingegen als Besitz sieht, die andere Person dominieren möchte und stark eifersüchtiges Verhalten zeigt, sind dies Risikofaktoren für Gewalt. Häusliche Gewalt betrifft Frauen aus allen Bildungs- und Einkommensklassen – Schweizerinnen genauso wie Migrantinnen. Wenn Frauen aber kein eigenes Einkommen haben oder keine Unterstützung von Verwandten und Freunden erhalten, verbleiben sie eher in einer Gewaltbeziehung.
Sehen Sie Lücken in der Präventionsarbeit oder im Schutzsystem hier in der Region?
Es ist wichtig, dass schweizweit genügend Ressourcen für Präventionsarbeit und die Arbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft etc. bereitgestellt werden. Auch die Anzahl der Frauenhausplätze muss erhöht werden. Es kommt immer wieder zu Situationen, in welchen alle Frauenhäuser in der Schweiz belegt sind und auf Notunterkünfte ausgewichen werden muss, wobei der Schutz und die Betreuung der Betroffenen nicht gewährleistet werden können.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt?
Herausfordernd ist, dass die Massnahmen auf verschiedenen Ebenen ansetzen müssen. Auf Ebene der Gesellschaft ist wichtig, dass Weiblichkeit nicht abgewertet wird und schon Kinder lernen, dass Mädchen und Buben die gleichen Rechte haben.
Was lösen Gewalterlebnisse bei Betroffenen aus?
Differenzierung ist bei häuslicher Gewalt sehr wichtig. Das öffentliche Bild suggeriert, dass Gewalterfahrungen immer extrem und langjährig gemacht werden. Nach unserer Erfahrung handelt es sich bei häuslicher Gewalt jedoch nicht immer um wiederholte, eskalierende Gewalt. Und nicht immer sind die Opfer schwer traumatisiert und gefangen in einer Misshandlungsbeziehung. In der Beratung treffen wir auf ganz unterschiedliche Frauen. Manche erleben einmalige Gewalt und trennen sich sofort. Andere Frauen wollen oder können sich nicht trennen, obwohl sie massive Gewalt erleben.
Was können Betroffene oder nahestehende Personen tun?
Betroffene und nahestehende Personen können sich bei der Opferhilfe beraten lassen. Die Beratung ist kostenlos und wir Beratenden sind an eine Schweigepflicht gebunden. Die Beratung kann persönlich, telefonisch, über Mail oder Chat erfolgen. Nahestehenden Personen ist zu empfehlen, auch wenn es schwerfällt, «einfach» für die gewaltbetroffene Person da zu sein. Es ist wichtig, keinen Druck aufzubauen, sich aus der Gewaltbeziehung zu lösen. Diese Schritte muss die betroffene Person selbst gehen.
Linda Bachmann
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