Philipp Gattermann
kombiniert Schreinerei mit seiner Leidenschaft für den Naturschutz.
Vor eineinhalb Monaten fielen in Dussnang zwei Alpakas einem Wolf zum Opfer. Das Raubtier konnte aufgrund von DNA-Proben zweifelsfrei identifiziert werden. Stefanie Giger vom Verband Thurgauer Landwirtschaft zeigt sich im Interview mit den WN besorgt über den Wolfsriss.
Dussnang Stefanie Giger, wie war Ihre erste Reaktion auf das Bekanntwerden des Wolfsrisses in einer Alpakaherde in Dussnang von Anfang April?
Meine ersten Gedanken galten der betroffenen Bauernfamilie. Dass der Wolf auch bei uns im Talgebiet auftaucht und Nutztiere reisst, damit musste man früher oder später rechnen. Das kam schon in der Vergangenheit immer wieder vor. Ich habe Verständnis für jeden Tierhalter, der sich nach dem Vorfall in Dussnang um seine Tiere sorgt.
Welche Möglichkeiten haben Nutztierhalter, um diese wirksam vor einem Wolfsriss zu schützen?
Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht, da muss man sich keine Illusionen machen. Wolfsicher Zäunen heisst gemäss Vorgaben des Bundesamts für Umwelt (Bafu), die Tiere mit einem Elektrozaun mit vier Litzen einzuzäunen, die unterste 20 Zentimeter über Boden, die oberste auf 110 Zentimeter. Ob das wirklich reicht, um den Wolf abzuhalten, wage ich zu bezweifeln. Es gab auch schon Fälle, bei denen Wölfe in Ställe eingedrungen sind, zum Beispiel vor vier Jahren in Rossrüti. Herdenschutzhunde machen bei grossen Herden Sinn oder in Gebieten mit hohem Wolfsvorkommen.
Gibt es gesicherte Zahlen dazu, welche Kosten im Zusammenhang mit dem Herdenschutz anfallen?
Die Kosten sind immens. Wenn jemand gesicherte Zahlen hat, dann das Bafu. Es stellt sich die Frage, was alles zu den Herdenschutzkosten dazugerechnet wird. Es entstehen nicht nur Kosten für Zaunmaterial und Herdenschutzhunde. Die Entschädigung für die Arbeit des Landwirts, des Wildhüters, Jagdverwalters und allenfalls des Herdenschutzberaters müsste korrekterweise auch miteinberechnet werden.
Der Wolf ist im Thurgau bisher kaum in Erscheinung getreten. Gehen Sie davon aus, dass er sich dauerhaft im Hinterthurgau niederlassen wird oder war er lediglich auf Durchreise?
Wenn die Wolfspopulationen in der Schweiz wachsen, bilden sich neue Rudel, und die brauchen Platz. Es ist eine Frage der Zeit, bis der Wolf auch bei uns im Talgebiet sesshaft wird. Marcel Züger, Biologe und Wolfsbeobachter aus Graubünden, warnt schon lange, dass das Auftreten des Wolfes im Thurgau nicht eine Frage von «ob», sondern eine Frage von «wann» sein werde. Er geht davon aus, dass sich der Wolf auch in der Ostschweiz ausbreitet. Gerade gab es in Teufen (AR) weitere Risse von Alpakas, wobei noch nicht klar ist, ob es sich um denselben Wolf wie in Dussnang handelte.
Im Toggenburg wurde vor bald zehn Jahren erstmals ein Wolf nachgewiesen. Seither wird er dort regelmässig gesichtet. Wie würden Sie reagieren, wenn der Wolf in den ausgedehnten Wäldern des Hörnligebiets ein neues Revier erobern und sesshaft werden würde?
Es wäre die Aufgabe der Thurgauer Regierung, bereits jetzt, wo die Lage noch einigermassen entspannt ist, Massnahmen zu ergreifen. Auf meine Nachfrage nach einem kantonalen Wolfskonzept hiess es, dass die Regierung im Moment keinen Bedarf für ein eigenes Wolfskonzept sehe. Der Kanton Thurgau hat die kantonale Herdenschutzberatung, für die er eigentlich zuständig wäre, an die Beratungsstelle Agridea in Lindau (ZH) ausgelagert. Ich will deren Kompetenzen gar nicht infrage stellen, aber Lindau ist nun mal nicht der Kanton Thurgau. Eine gute und vertrauensvolle Fachberatung sollte auch bei uns möglich sein. Es reicht nicht, die Tierhalter auf die Agridea-Webseite und Merkblätter zu verweisen.
Bauern, deren Herden von Wölfen angegriffen wurden, sind oft verunsichert. Was können Sie dazu sagen?
Wolfsrisse sind eine grosse Belastung für die Tierbesitzer und ihre Familie. Wenn man am Morgen aufsteht und seine Tiere mit aufgerissenen Bäuchen und heraushängenden Därmen vorfindet, ist das ein traumatisches Erlebnis. Als Vergleich: Wie würde es Ihnen gehen, wenn Ihre Katze überfahren wird? Die psychische Belastung bei den Nutztierhaltern nach einem Übergriff durch ein Grossraubtier ist enorm. Man weiss ja nie, wann das nächste Mal etwas passiert. Mir haben in der Vergangenheit viele Bauernfamilien und Älplerinnen und Älpler von ihrem Schrecken und ihrer Trauer erzählt. Wichtig wäre es, wenn Wildhut und Amtsvertreter schon im Erstkontakt mit der Bauernfamilie verständnisvoll reagieren und nicht als Erstes die Checkliste zur Hand nehmen und umgehend zum Schluss kommen, dass der Herdenschutz ungenügend war. Oft wird das auch in entsprechenden Medienmitteilungen so verbreitet. Es ist ein Zuschieben des Schwarzen Peters an die Bäuerinnen und Bauern. Auch wenn der Herdenschutz eins zu eins gemäss Vorgaben umgesetzt ist, können Wölfe Zäune überspringen oder sich unten durchschlängeln.
Wie schaffen die Bauern den schwierigen Spagat zwischen dem Wohl ihrer Tiere und der Anwesenheit von Grossraubtieren, wie der Wolf eines ist?
Wir haben in der Schweiz einen sehr hohen Standard beim Tierwohl. Jeder Landwirt und jede Bäuerin will das Beste für seine oder ihre Nutztiere und setzt das um. Aber gegen Wolfsrisse und den Todeskampf von gerissenen Tieren ist der Bauer machtlos.
Von Wiesy Imhof
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